Nun war
wirklich mein letzter Tag gekommen. Ich hatte den Abschied immer noch
hinausgezögert. Ich besuchte Dwarnsises 16jähriger Schwester beim
Wäschewaschen. Das macht sie von 8 Uhr bis 18h gemeinsam mit ihrer anderen
Schwester. Da heute Aschermittwoch und ein Feiertag ist, hat sie Zeit dafür. Eigentlich
geht sie in die Schule und möchte einmal Ärztin werden. Ein Traumberuf der meisten
Mädchen. Alternative: Krankenschwester. Die Jungs möchten Doktoren oder
Ingenieure werden. Die meisten werden aber wahrscheinlich genauso enden wie
ihre Eltern. Als Bauern oder Marktfrauen.
Die Rollen
sind hier noch klar definiert. Die Frau kümmert sich ums Kochen, Wäsche
waschen, Kinder aufziehen und vielleicht hier und da etwas verkaufen. Die Männer
arbeiten auf den Feldern. Für gewöhnlich haben die Männer auch etwas mehr
Bildung. Sie kaufen sich Smartphones und öffnen ihren Horizont dank des
Internets. Die Frauen bleiben oft ein bisschen stehen, so empfinde ich es. Vielleicht
auch weil sie damals nicht zur Schule gegangen sind. Es ist spannend zu sehen,
was aus den jetzigen Mädchen wird, die momentan zur Schule gehen. Ob sie sich
mit dem Leben als Hausfrau abgeben werden oder ob sie es schaffen, dort hinaus
zu kommen? Am Willen mangelt es sicher nicht. Aber an den finanziellen
Möglichkeiten die Tochter auf die Universität zu schicken.
Auf jeden Fall
merkt man der Jugend den Durst nach Entwicklung an. Natürlich haben die meisten
Internetzugang, wenn auch nur sporadisch. Sie möchten auch die Dinge machen und
bezahlen können, wie die westliche Welt. Sie möchte reisen. Viele träumen von einem
Leben in den USA: Aber ein Ausreisevisum zu bekommen ist sehr schwer. Selbst
wenn es nur für ein paar Wochen ist. Haiti steht auf der roten Liste, die
Ausreisebestimmungen sind stark reglementiert. Wer ein Visa möchte, braucht
einen Bürgen im Gastland. Eine Wohnung, eine Versicherung. Er muss einen
Arbeitsplatz in Haiti vorweisen usw. usw.
Gut
nachzuvollziehen ist es, wenn Dwaronsise mich (halb im Spaß natürlich) fragt, ob ich sie nicht in meinem Rucksack
mitnehmen könne. Sie würde mir auch jeden Tag meine Haare flechten. Da musste
ich lachen. Aber ihre Worte waren so herzlich. Als ich ihr mein kleines Geschenk
übergab, sagte sie: „Jetzt hast du uns Geschenke gemacht und wir haben nichts,
das wir dir geben könnten. Unsere nächsten Tage werden von Trauer erfüllt. Wir
werden an dich denken.“ Für mich ungewohnt, solche Worte aus dem Munde eines
Kindes zu hören.
Aber Kinder
sind hier sowieso weiter als bei uns. In frühster Kindheit nehmen sie eine
wichtige Rolle im Gefüge ein. Sie haben ihren Platz und ihre Wichtigkeit. Sie werden
unglaublich geliebt aber auch zurechtgewiesen (notfalls mit Schlägen). Kinder
müssen mithelfen, aber bekommen dadurch auch eine Bestätigung, weil sie
gebraucht werden. Und da die Kinder ihre Arbeit immer in Gemeinschaft mit
anderen Kindern erledigen, wird daraus ein Spiel.
Kinder scheinen aber auch generell schneller erwachsen zu werden, was daran liegen mag, dass sie Sexualität schon in frühsten Jahren erleben.
Wen die Hütte klein ist, bekommen die Kinder den Geschlechtsverkehr der
Erwachsenen mit. Nicht aufgeklärt probieren sie das auch aus. Und nicht selten
werden dann 11 jährige Mädchen schwanger. Da die Mutter selbst auch noch im gebärfähigen
Alter ist, werden dann diese Enkel miterzogen wie die eigenen Kinder. Die
Mädchen gehen dann wieder zur Schule.
Sexualunterricht
wird erst ab der 7. Klasse gegeben, wo die meisten schon 14 Jahre alt sind und
bereits alles Nötige wissen.
Wenn ich hier
arbeiten würde, würde ich ein Krankenhaus aufbauen und eine weiterführende Schule.
Ich würde mit den Frauen und Männern über Verhütung reden (oder reden lassen).
Denn auch die Männer wollen keine 10 Kinder ernähren. Nur ist ein Kind zu
schnell in die Welt gesetzt, wenn es keine Verhütungsmöglichkeiten gibt. Ein
ganz wichtige Punkt, an dem hier noch gearbeitet werden muss.